Digital, hybrid, virtuell – herausfordernd aber doch nicht neu! Teil 3

16. Februar 2021

Schon in Teil 1 meiner Artikelreihe habe ich ausgeführt, dass digitale bzw. hybride Events handwerklich gesehen nichts anderes als Fernseh-Produktionen sind. So hat sich die Bezeichnung solcher Projekte auch schon häufig in „Sendung“ gewandelt, was ich sehr begrüße.

Wie TV-Produktionen sind auch digitale/hybride Events das Ergebnis von mehreren mehr oder weniger unabhängig voneinander wirkenden Faktoren und Gewerken, die alle ihren wichtigen Beitrag zu einer Sendung beitragen. Diese unterschiedlichen Gewerke zu synchronisieren, ist die größte Herausforderung und zugleich der Knackpunkt auf dem Weg zum Erfolg einer Sendung.

In meinen beiden ersten Artikeln habe ich schon die Rollen und Bedeutungen einiger Beteiligter und relevanter Faktoren beleuchtet, darunter Technik, Protagonisten, Storytelling, Location, etc.

In diesem 3. Teil fokussiere ich mich auf die Themen der Ausstattung bzw. Set-Gestaltung, relevante Positionen im Produktionsteam und zum Ende gehe ich gesondert auf die (neue) Rolle des Regisseurs/Bild-Regisseurs ein.

Ausstattung:

Präsenz-Events leben von großen, häufig prunkvollen Bühnen. Große Lichtapparaturen, LED-Wände, Dekoration etc. erschaffen ein für alle besonderes Setting. Mit allerlei technischem Aufwand werden Welten kreiert, die im besten Falle komplett auf den Kunden abgestimmt sind. Auch ich bin ein großer Fan davon. Im Laufe der Transformation zum Digitalen Event nahm dieses Phänomen, wie ich finde, eine absurde Entwicklung. Die Bühnen wurden kleiner und kleiner, unscheinbarer, eindimensionaler. Häufig bestand der einst noch pompöse Aufbau aus einem Stehtisch und einem Monitor im Hintergrund, davor eine statische Kamera in einer Einstellung – und dem Event war die komplette Größe genommen.

Events brauchen Raum. Es geht nicht nur darum, die größte Halle zu mieten, sondern auch an einen entsprechenden Hintergrund und die damit transportierte Atmosphäre zu denken. Die Rechnung ist einfach: Durch unterschiedliche Bild-Einstellungen lassen sich zwar unerwünschte Ecken eines Studios verbergen, aber jedes Bild hat immer einen Hintergrund.

Dieser Hintergrund darf aufgrund der mangelnden Größe dann nicht aus dem Notausgangschild über der Feuertür an der Seite bestehen. Größe ist hier das Stichwort. Es ist kein Zufall, dass Kulissen in TV-Studios meist mindestens einen 180-Grad-Winkel haben. Der Effekt: Es sind weite Blicke durch das Studio möglich, stets mit einer ansprechenden Kulisse im Hintergrund. Das schafft Größe, Dynamik und Abwechslung.

Ebenso wichtig ist die inhaltliche Gestaltung des Hintergrunds. Damit meine ich keine gebrandete Rückwand, sondern eine thematisch sinnvoll gestaltete Kulisse. Beispiel: Eine Versicherung produziert eine Sendung, um mit ihren Vertrieblern zu kommunizieren. Zum Unterthema Automobil-Versicherung ist eine kleine Garagen-Kulisse aufgebaut, zum Unterthema Hausrat gibt es eine Küchen-Kulisse, zum Unterthema Altersvorsorge eine gemütliche Wohnzimmer-Kulisse. Hier ist der Kreativität keine Grenze gesetzt.

Technik-Team:

(Hier gehe ich auf die offensichtlichen, weil bekannten Team-Größen wie Ton, Beschallung, Licht, Content-Zuspielung, Ausstattung/Requisite etc. nicht gesondert ein).

Wie wir schon wissen, lassen sich digitale Events nicht über einen kompletten Tag strecken, wie es mit Präsenz-Events möglich ist. Daher ist die Konzentration auf den relevanten Inhalt der womöglich wichtigste Punkt bei der Konzeption digitaler Events, was uns auch schon zu der mit Abstand wichtigsten Position im Team bringt.

Ich habe in den letzten Wochen häufig die Erfahrung unzureichender redaktioneller Betreuung gemacht. Digitale Events funktionieren nicht mit, „wir schicken die mal auf die Bühne und die machen dann ihr Ding“. Niemand kann bei einer Studio-Produktion, wenn sich Kameras auf ihn/sie richten „sein Ding“ machen. Da nur das nach draußen kommuniziert, was von den Kameras erfasst wird, ist der Protagonist/die Moderatorin angewiesen auf die Person an der Kamera vor ihm/ihr. Sind nicht beide auf dem gleichen Wissensstand, kommt man nicht an das geplante Ziel. Die Lösung für dieses Problem ist eine detaillierte inhaltliche Vorbereitung und Betreuung vor Ort. Es muss jemanden geben, der redaktionell den Hut aufhat und inhaltliche Entscheidungen treffen kann und muss. Ein Regisseur kann niemanden passend inszenieren, ohne zu wissen, was der- oder diejenige auf der Bühne vorhat. Dieses Wissen hat Einfluss auf jeden Faktor im Studio (Position der Kameras und Vorschaumonitore, Aufgänge, Abgänge, Länge der Wege, Wahl der Präsentationsflächen für Content etc.).

Studio-Produktionen finden grundsätzlich nie ohne ein Team von Aufnahmeleiter*innen statt, das sich um die Koordination und Kommunikation des Studio-Teams kümmert, Timings im Auge hat und für einen reibungslosen Ablauf im Studio sorgt. Wer meint, diese Aufgabe übernimmt bei Events doch der Regisseur, der vergisst, dass die wichtigste Aufgabe des Regisseurs das Sicherstellen von guten Kamera-Bildern ist. Muss er aber im Studio rumspringen und Gewerke koordinieren, kann er seiner Hauptaufgabe nicht mehr nachgehen.

Neben der Aufnahmeleitung gibt es im Studio eine Regieassistenz, der verlängerte Arm des Regisseurs im Studio, der sich – in Abgrenzung zur Aufnahmeleitung – um die Umsetzung der für die Bildästhetik relevanten Entscheidungen kümmern muss.

Eine (neue) und nicht zu unterschätzende Funktion ist die der Maske. Protagonist*innen vor der Kamera müssen gepudert werden, meist nicht viel, aber ohne eine Abdeckung kommt es zu schnellem Schwitzen, glänzender Haut und damit zu unschönen Bildern.

In einer klassischen TV-Studio-Produktion gibt es standardmäßig auch Kostümbildner*innen. Als obligatorisch für digitale Events sehe ich diese nicht, daher gehe ich nicht weiter auf sie ein.

Bild-Regie/Bildmischer (Bimi)

Die Aufgabe des Bildmischers ist es, zur richtigen Zeit die richtigen Kameras in der richtigen Einstellung zu schneiden. „Schneiden“ heißt in diesem Fall, die richtige Kamera ins On zu schalten. Damit steht er im ständigen Kontakt zum Kamera-Personal und dirigiert sie durch die Sendung. Dafür muss er eng mit dem Regisseur zusammenarbeiten, um Situationen zu kennen, bevor sie entstehen, und sich und sein Kamera-Team entsprechend vorzubereiten. In kleineren und unaufwändigeren Produktionen kann diese Rolle auch vom Regisseur selbst übernommen werden. Aktuell ist das aber kaum vorstellbar. Das liegt an einer Mischung aus viel zu überfrachteten Sendungen und unverantwortlich wenig Probenzeit.

Regisseur:

Die Aufgaben des Event-Regisseurs oder Ablauf-Regisseurs bei Präsenz-Events setzt sich im Groben zusammen aus kreativer Beratung, akkuratem Timing und der Orchestrierung (Koordination) aller beteiligter Gewerke. Soweit so gut.

Für ein digitales Event kommt allerdings eine ganz entscheidende Aufgabe hinzu: Der Regisseur ist das Auge des Zuschauers. Er entscheidet über das was gesehen und damit kommuniziert wird und was nicht. Das ist – im Vergleich zum Präsenz-Event – ein exorbitanter Mehraufwand und eine größere Verantwortung.

Bei vielen Events im Sommer 2020 ließ sich beobachten, dass die Rolle des Regisseurs nicht wahrgenommen oder nicht ernstgenommen wurde, dabei ist sie wichtiger denn je. Handwerklich gesehen ist ein digitales Event eine TV-Produktion. Dort wird die Notwendigkeit eines Regisseurs nicht in Frage gestellt.

Auch bei TV-Produktionen geht es nicht nur darum, die richtigen Protagonisten zur richtigen Zeit auf die richtige Bühne zu schicken; es geht um eine dezidierte Beeinflussung der Kommunikation durch den Regisseur. Bei einem hybriden Event im Berlin im Oktober habe ich selbst die Bild-Regie übernommen. Das Interview auf der Bühne steuerte unerwartet auf die Schuhe der interviewten Person zu. Da meine Aufgabe nicht nur das Einhalten des Timings, sondern auch das Illustrieren des Inhalts durch Bilder war, wies ich den entsprechenden Kameramann an, eine Nahaufnahme der Schuhe des interviewten Gastes zu machen und konnte damit allen Stream-Zuschauern zeigen, was sonst nur Teilnehmer vor Ort hätten sehen können. Das mag trivial erscheinen, aber solche kurzfristigen Entscheidungen, die sich aus dem Live-Moment ergeben, machen digitale Events lebendig und schaffen Brücken zu einem besseren Verständnis.

All dies ist nur möglich, wenn – und natürlich muss ich das als Regisseur sagen – es mehr Probenzeit gibt.

Bei vergleichbarer Qualität kosten digitale/hybride Events mehr als Präsenz-Events, das gilt für Budget, technischen Aufwand, Vorbereitungszeit, Probenzeit, Team-Stärke, benötigtes Know-How, Koordinations-Aufwand und im Zweifel auch Nerven.

Erst, wenn diese Erkenntnis bis zu den Kunden durchgedrungen ist, kommen wir als Branche mit diesen Produkten einen Schritt weiter und das müssen wir. Wir haben alle gesehen, dass digitale Events (technisch) funktionieren, aber und unter dem Strich noch viel Luft nach oben ist. Wenn wir nicht zügig den nächsten Qualitäts-Schritt machen, wird es in naher Zukunft immer unattraktiver, solche Events zu verfolgen.

Wir als Branche haben in den letzten Monaten aber auch viel gelernt und müssen uns nicht mit der Fernseh-Branche vergleichen.  Inhaltlich bestehen dafür zu große Unterschiede, die uns auch andere Wege einschlagen lassen. Aber: Handwerklich können wir uns viel abgucken und lernen.

Ich freue mich darauf das mit Ihnen zu tun.

 

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